FEBRUAR 1952: Im Estrich unseres alten Hauses ist ein Feuer ausgebrochen. Unser Vater steht zuvorderst am Feuer und versucht dieses mit einem Eimer voll Wasser zu löschen, den die Männer von unten nach oben weiterreichen, bis die Feuerwehr eintrifft. Wir sechs Mädchen sind bei Nachbarn untergebracht. Unten in der Stube schiebt unsere Mutter unruhig den Stubenwagen mit unserem dreiwöchigen Bruder hin und her.
MÄRZ 1954: Ich weiss bis heute nicht, warum unser Vater dieses grosse Mehrfamilienhaus an die im gleichen Haus wohnende Witwe verkauft hat. Sie kündigt uns bald darauf die Wohnung. Unsere neunköpfige Familie zieht in eine grosse Mietwohnung am Arbeitsort meines Vaters.
APRIL 1961: Ich absolviere eine dreijährige Ausbildung zur pharmazeutisch-technischen Assistentin. Es ist nicht mein Traumberuf. Im letzten Ausbildungsjahr lerne ich meinen zukünftigen Mann kennen, der ebenfalls nicht mein Traummann wird.
MAI 1965: Am 2. Mai kommt unser erster Sohn zur Welt. Wegen einer während der Schwangerschaft nicht bemerkten Toxoplasmose ist er schwer behindert. Nach sechs Monaten im Kinderspital und einer risikoreichen Operation des Wasserkopfes können wir ihn endlich nach Hause nehmen. Während neuneinhalb Jahren pflege ich ihn. Er muss zeitweise mit der Magensonde ernährt werden. Er kann auch nicht sprechen und die Sehkraft ist eingeschränkt. Er braucht Medikamente gegen Epilepsie und muss gewickelt werden. Wir lieben dieses Kind über alles und wenn ich ihm Kinderlieder vorsinge, kann er Freude zeigen und lachen.
JANUAR 1973: Ich habe den Mut für eine zweite Schwangerschaft und im Januar wird unser zweiter Sohn gesund und kräftig geboren.
OKTOBER 1974: Unser geistig und körperlich behindertes Kind stirbt. Obwohl die Ärzte ihm kein langes Leben prognostiziert hatten, durfte er neun Jahre und sechs Monate bei uns leben. Dieses «unwerte» Leben hat mich vieles gelernt und stark gemacht.
NOVEMBER 1978: Überraschend wird uns ein dritter Sohn geschenkt. Ich bin dankbar, glücklich und zufrieden, jetzt zwei «normale», gesunde Kinder aufwachsen zu sehen.
JANUAR 1977: Mein Mann macht sich mit einem Handwerksbetrieb selbständig. Neben der Kindererziehung und der übrigen Arbeit als Ehe- und Hausfrau erledige ich die Buchhaltung und arbeite als kaufmännische Angestellte noch teilzeitlich auswärts um das 1873 erbaute Elternhaus meines Mannes zu renovieren und auszubauen.
MÄRZ 2014: Endlich kann ich mich von meinem Mann lösen und ziehe in eine kleine Wohnung in einen anderen Kanton. Dieses grosse Haus zu verlassen, bereitet mir grossen Schmerz, denn es wurde mit viel Eigenleistung, Kraft und Aufwand unser Lebenswerk.
JANUAR 2015: Schmerzliche Scheidung mit 71 Jahren. Ich beginne, ein neues Leben aufzubauen. Mit meiner Bernersennenhündin unternehme ich kurze oder auch längere Wanderungen. Das Schwyzerörgelispielen bringt mich an privaten und sogar öffentlichen Auftritten mit anderen Volksmusikfreunden zusammen und bereitet mir viel Freude. Ich schaue auf ein sehr bewegtes Leben zurück. Meine Söhne mit ihren Familien und Enkelkindern machen mich glücklich und zufrieden.
14.07.2015