Stephan 1990

Kassel
Frankfurt am Main
Montpellier
Frankfurt am Main
Hilfsbetreuer
Küchenhilfe
Bibliotheksmitarbeiter
Statist
Komparse

DEZEMBER 1999: Meine Eltern und meine Grosseltern trennen sich und ziehen um. Unsere Familie spaltet sich von einem Haus in drei unterschiedliche Wohnungen auf. Mein bester Freund aus der Grundschule wird mein Stiefbruder und Zimmerpartner. Die Familie scheint grösser zu werden, aber mit teilweise noch fremden Leuten. Ich kann mich nicht ganz daran gewöhnen, meine Familie teilen zu müssen.

SEPTEMBER 2004: Ein Abend, an dem wir alle beisammen sitzen: «Wir sind pleite!» – so die Worte meiner Stiefmutter. Und mein Vater hat Krebs. Ich weiss nicht, was das bedeutet.

MAI 2008: Nachdem meine Mutter uns in der Eisdiele anschreit, beschliessen meine Schwester und ich, dass wir keinen Kontakt mehr zu ihr haben wollen.

JUNI 2008: Ich erfahre, dass meine Mutter meiner Schwester vor zwei Jahren angedroht hat, von der Brücke zu springen, wenn wir nicht zu ihr zurückkommen. Ich verstehe immer mehr, dass es uns gut tut, unsere Mutter nicht zu sehen.

DEZEMBER 2008: Als ich bekanntgebe, dass ich die Lehrstelle bei der Polizei absagen werde, sagen mir meine Stiefmutter und mein Vater, dass ich mein Leben so nicht weiterleben kann, zum Studieren sei ich zu dumm. Ich bringe schüchtern heraus, dass ich noch was verschwiegen habe. Ich sei schwul. Darauf bekomme ich nur weitere wütende Blicke und ein schnippisches «Und? Haste denn 'nen Freund?» zu hören. Ich sage «Nein» und beschliesse, so schnell wie möglich auszuziehen.

JULI 2009: Ich ziehe nach Frankfurt für den Zivildienst und erlebe eine unglaublich befreiende Zeit. Ich schreibe mich an der Universität ein.

MAI 2010: Mein Vater stirbt nach langer Zeit im Krankenhaus. Wir waren alle darauf vorbereitet. Doch erst jetzt bricht der Schmerz darüber in mir auf. Ich weine, kann nicht aufhören, nehme ihn im Wissen, dass ich ihn nicht wiedersehen und nicht mehr berühren kann, in den Arm und geniesse diesen Moment.

AUGUST 2012: In Frankfurt fällt mir die Decke auf den Kopf. Ich gehe für zwei Auslandssemester nach Montpellier.

JULI 2013: Zurück in Frankfurt falle ich in alte Gewohnheiten zurück: Selber Nebenjob, selbe Uni, selbe Leute. Ich beschliesse, etwas zu ändern. Ich weiss nur noch nicht, was.

OKTOBER 2013: Ich weiss, was ich ändern will: Mehr Zeit für meine Hobbys zu haben. Mein Praktikum raubt mir sämtliche Freizeit. Ich kündige. Das versteht dort keiner, aber mir tut es gut.

07.12.2013