Antonia 1934

Bern
Wabern
Interlaken
Bern
Biberist
Bern
Langenthal
Bern
Losverkäuferin
Hilfspflegerin
Primarlehrerin
Legasthenie-Therapeutin

JUNI 1938: Eine Woche vor meinem vierten Geburtstag stirbt Nonna, meine Grossmutter. Ich bin zu klein, um an die Beerdigung zu gehen. Aber ich darf der Leiche noch einen letzten Kuss geben.

JUNI 1942: In der Schule wird alles gesammelt, was sich wiederverwerten lässt: Kaffeesatz, Papier, leere Tuben. Mein Lehrer rühmt mich, weil ich barfuss zur Schule komme – so schone ich meine Schuhe.

AUGUST 1951: Meine Mitschülerin soll an einem Pfadiführerinnen-Kurs teilnehmen. Ich gehe mit und werde danach als Hilfsführerin in einen Trupp eingesetzt, ohne irgendeines der üblichen Pfadi-Examen gemacht zu haben. In unserem Trupp lerne ich die zukünftige Gotte meiner jüngsten Tochter Franziska kennen. Ich bin bis heute in Kontakt mit den Mitleiterinnen.

APRIL 1953: Meine Mutter, diese liebe und wilde Frau, hat Angst, wenn ich abends ausgehe: Sie kann nicht schlafen, bis ihre beiden Kinder zu Hause sind. Einmal wartet sie im Nachthemd und mit dem Teppichklopfer in der Hand bei der Wohnungstür, als ich nach Hause komme. Ich verspreche mir, dass ich das bei meinen Kindern nie tun werde.

MAI 1957: Um mich auf das Eheleben mit Alfred vorzubereiten, lernen ich Orgelspielen und Schreibmaschine tippen. Ich hätte lieber noch besser Kochen gelernt! Mit einer anderen künftigen Pfarrfrau lerne ich ausserdem Hemden bügeln. Die Faustregel, pro Hemd 20 Minuten zu bügeln, beherzige ich nie: Das ist viel zu lang.

SEPTEMBER 1959: Ich bringe meine erste Tochter zur Welt. Ich habe nicht viel Angst. Nach der Geburt darf ich vierzehn Tage lang im Spital bleiben, und als wir nach Hause gehen, wohnt eine Tante, die lange als Säuglingsschwester gearbeitet hatte, einen Monat lang bei uns und hilft mir. Als ich alleine mit meiner Tochter vom Spital nach Hause ziehe, lege ich mich müde ins Bett, warte auf die Tante und denke: Magdalena stirbt, Magdalena stirbt!

JULI 1966: Bei der Geburt meines fünften Kindes sagt der Arzt zu mir: «Dieses Kind kann wählen, ob es am 1. August oder einen Tag früher zur Welt kommt.» Wir helfen der Geburt nach, indem wir einen langen Spaziergang auf dem Gurten machen und gebeugten Rückens Himbeeren pflücken. So kommt Franziska schon am 31. Juli zur Welt.

MAI 1974: Als Magdalena zum ersten Mal spät nach Hause kommt, schlafe ich herrlich und mache mir keine grossen Sorgen. Ich weiss: Ich kann meiner Tochter vertrauen.

AUGUST 1989: Nachdem mir die Ablösung meiner Kinder schwer gefallen war, kommt meine erste Enkelin zur Welt. Ich spüre, wie in mir eine Falle zuschnappt: Ich bin wieder ganz an ein Kind gebunden.

MÄRZ 1993: Mein Bruder Erich stirbt an Leukämie, gegen die er vier Jahre lang mit Galgenhumor kämpfte: «Dann werde ich nicht an Demenz oder Zuckerkrankheit leiden.» Er arbeitete bis zum Schluss und sagte: «Blumen und Fotoalben bitte erst, wenn ich auf der Zielgeraden bin!»

24.03.2014