Johanna 1936

Prag
Teplitz-Schönau
Most (Brüx)
Landshut
Bonn
Godesberg
Köln
Kinder- und Jugend-Psychotherapeutin

AUGUST 1939: Wir sind von Prag nach Teplic-Schönau umgezogen, weil die Deutschen in böhmischen Randgebieten zusammengefasst werden sollen. Meine Grossmutter stürzt ins Bad, wo meine Mutter mich wäscht, und ruft: «Es gibt Krieg, wir müssen Mehl und Zucker kaufen!»

APRIL 1941: Meine Mutter läuft weinend mit einer Wolldecke durch die Wohnung, alle sprechen Tschechisch. Ich bin die einzige in der Familie, die in Prag nicht mehr Tschechisch gelernt hat, und jetzt benutzen es die Grossen immer, wenn ich etwas nicht verstehen soll. Später erfahre ich, dass mein Vater wegen einer Verleumdung von der Gestapo ein Jahr lang inhaftiert wurde.

JANUAR 1944: In der Zeitung sind Bilder von den Bombenangriffen in Berlin, wohin mein Vater versetzt worden ist. Ich habe gerade lesen gelernt und versuche die Schlagzeilen zu entziffern.

AUGUST 1945: Mein Vater, zu Fuss aus Berlin zurückgekehrt, paukt mit mir tschechische Vokabeln und Grammatik. Meine Mutter bringt mir einige tschechische Lieder bei. Die singe ich möglichst laut, wenn sie sich auf der Strasse mit Bekannten auf Deutsch unterhält, was verboten ist. Wir müssen unsere Wohnung räumen und ziehen in die Praxis unseres Ohrenarztes, der, wie viele Deutsche, in Panik geraten war und sich umgebracht hat, nachdem die Russen die Ostgrenze überschritten hatten.

DEZEMBER 1947: Ich habe die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium geschafft. Wir besuchen mit der Schule eine Fotoausstellung über die Greueltaten der Nazis in den Konzentrationslagern. Ich bin geschockt, versuche mich innerlich von meinem Deutschsein zu lösen, spreche auch zu Hause nur noch Tschechisch. Ich werde dennoch vom Gymnasium relegiert, weil mein Vater Deutscher ist.

DEZEMBER 1949: Wir sitzen am 24. Dezember um Mitternacht im Zug nach Westdeutschland. Mein Vater fürchtet, aus dem Zug geholt zu werden, doch die Grenzer sind milde gestimmt in dieser Heiligen Nacht. Mein Hündchen, mein Trost in mancher Einsamkeit, bleibt unentdeckt.

MÄRZ 1951: Ich werde in der Schule wegen meines Akzents als «Böhmak» verspottet und lerne Latein, Englisch und Französisch statt Russisch. Ich beginne, die bislang weiss gelassenen Gebiete in Erdkunde und Geschichte zu füllen, und in Religion und Philosophie inneren Halt zu suchen.

JUNI 1959: Dank seinem ersten grösseren Auftrag als Architekt gelingt es meinem Mann, eine alte Wassermühle in Köln zu erwerben, die wir mit der Geburt jedes Kindes ein Stück weiter ausbauen. Ein kleines Paradies für uns alle.

OKTOBER 1973: Als das sechste Kind auf der Welt ist, denke ich, «ich kann ja nicht immer weiter Kinder kriegen» und mache eine Weiterbildung zur Kinder- und Jugend-Psychotherapeutin.

MAI 1994: Mein Mann ist nach einer akuten Hirnblutung an den Rollstuhl gefesselt. Mit meiner Praxis im Haus ist es mir möglich, ihn noch 17 Jahre lang zu pflegen.

26.04.2014