Ege-Seçil 1984

Düsseldorf
Izmir
Düsseldorf
Bochum
Berlin
Frankfurt am Main
Berlin
Frankfurt am Main
Lagos
Özdere
Berlin
Frankfurt am Main
Berlin
Babysitterin
Flohmarktverkäuferin
Presse-Assistentin
Schauspielerin
Übersetzerin
Interviewerin
Choreografieassistentin
Regieassistentin
Bürohilfe
Promoterin
Kellnerin
Choreografin
Performerin

JULI 1992: Ich erlebe das Opferfest zum ersten Mal in der Türkei. Wir sind bei meiner Oma in der Stadt und ich gehe aus dem Haus. Ein enthauptetes Tier hängt an der Decke, aber nicht das interessiert mich, sondern das mit Wasser gemischte Blut, das im Vorhof meine Sommerschlappen durchtränkt.

APRIL 1995: Ich stehe im Flur meiner besten Freundin mit einem weinenden Lächeln gegenüber. Es sollte eine Überraschung sein. Sie ist wieder da. Ich freue mich leise vor mich hin und fühle die Abwesenheit eines ganzen Jahres mit ihr mit.

JULI 1997: Nach einem Jahr bin ich wieder einen Sommer im Dorf meiner Mama und renne ins Schlafzimmer, wo mein Onkel sitzt. Ich habe Angst, den Raum zu betreten und setze ein Lächeln auf, als ich meinen schwer krebskranken Onkel das erste Mal sehe.

MAI 2003: Bei der letzten Aufführung der «Penthesilea», wo ich die Amazonenkönigin spiele, habe ich in der intensiven Endszene einen Versprecher. Enttäuscht weinend verlasse ich die Bühne und lasse den toten Achilles hinter mir im Kunstblut liegen.

JUNI 2006: Nach einer weiteren Absage einer Kunstschule ist meine Enttäuschung riesig. Ich habe einen Wutanfall und bringe mein Zimmer in ein Chaos. Meine Mutter stürzt erschrocken herein und ich beruhige mich wieder.

MÄRZ 2007: Ich fahre mit dem Fahrrad meine Strasse entlang. Die Sonne scheint, ich habe kein Geld und keine Verpflichtungen. Es ist Zeit zu gehen, ich lasse alles hinter mir. Es ist Frühling, sonnig, ich bin verliebt und freue mich auf meine Zukunft in einer neuen Stadt, Berlin.

MÄRZ 2008: Es ist endlich so weit. Ich stehe in meiner Sorglosigkeit da und blicke auf. Eine Aussicht, die ich sonst nur von Gemälden kenne, nun stehe ich mitten drin am Goldenen Horn. Ganz alleine vor den riesigen Architekturen und der Wirklichkeit der Aussicht. Ich bin hingerissen.

OKTOBER 2009: Wir liegen beide nackt im Bett. Er umarmt mich fest und ist im Halbschlaf, ich bin hellwach und lese «Memoiren einer Tochter aus gutem Hause» von Simone de Beauvoir. Es ist ruhig in der Wohnung, ich geniesse den Moment und lache.

NOVEMBER 2012: Nach einem Bewerbungsgespräch fahre ich entmutigt zurück. Mein Handy klingelt und ich bekomme die Zusage von der Studienstiftung. Mit Freudentränen steige ich aus der Bahn, vergesse dabei mein Fahrrad und renne ihr bis zur Endstation hinterher.

JUNI 2013: Mit einer Performance habe ich einen Zwischenstopp in Istanbul zur Zeit der Proteste am Taksim Platz. Ich besuche den Ort des Widerstands. Ich bin überglücklich und überwältigt, als ich den Gezi-Park betrete. Ich fühle mich wie an einem neuen utopischen Ort.

12.12.2013