2013

JANUAR 2013: Ich beziehe mit meinem Geschäft das erste ganz eigene Büro.

JANUAR 2013: Ich begegne Ben in einem Theaterseminar und verliebe mich sofort. Eineinhalb Jahre später werden wir heiraten. Done!

JANUAR 2013: Ich sitze im Zug, mein Telefon klingelt. Ich erfahre, dass ich den Praktikumsplatz bekommen habe. Ich bin mir nun sicher, dass ich das Richtige studiere.

JANUAR 2013: Mein Bruder wird Vater. Unsere Beziehung wächst um eine neue Dimension.

JANUAR 2013: Ich lese das Manifest des evolutionären Humanismus.

JANUAR 2013: Mein Agent teilt mir mit, dass er für mein Manuskript einen Verlag gefunden hat und dass das Buch im Herbst erscheinen wird.

JANUAR 2013: Ich gebe meine Wohnung auf und ziehe ins Alterswohnheim. Der Wechsel fällt mir schwer. Ohne die Hilfe meiner serbischen Betreuerin hätte ich es kaum geschafft. Sie betreut mich auch weiterhin.

JANUAR 2013: Ich kann in einer grösseren Schweizer Produktion als Schauspielerin mitwirken! Ich bin nervös....

FEBRUAR 2013: Zwei Tage vor meiner Abreise finde ich endlich eine richtige Sevillana-Bar. Wir haben so viel Spass zu zweit und jetzt bin ich so traurig. Vielleicht bin ich doch ein bisschen verliebt.

FEBRUAR 2013: Am Abend vor einer Mathe-Klausur sehe ich erneut ein, dass all das Lernen nichts bringt. Um mir den darauffolgenden Tag zu retten, lege ich mir mein bestes Outfit zurecht, um etwas zu haben, worauf ich mich freue. Mode rettet mir den Tag.

FEBRUAR 2013: Unser Sohn kommt zur Welt.

FEBRUAR 2013: Zufällig entdeckt man an meiner linken Niere einen bösartigen Tumor. Er wird herausoperiert. Seitdem schätze ich das Leben umso mehr.

FEBRUAR 2013: Beim Familientreffen fällt ein Percussionsinstrument auf die Rhythmustaste des E-Pianos. Meine Cousinen, Schwestern und ich singen, durch den Rhythmus erinnert, spontan und textsicher einen Gerhard-Schöne-Song aus alten Tagen und alle stimmen ein.

FEBRUAR 2013: Ich erfahre etwas, das meine Welt komplett zusammenbrechen lässt. Ich empfinde eine Trauer, die ich nicht für möglich gehalten habe.

MÄRZ 2013: Stefanie verlässt mich, sie ist nicht glücklich. Ich hinterfrage alles.

MÄRZ 2013: In einer Potsdamer Augenklinik erfahre ich von einem Arzt, dass meine Hornhaut zu dünn zum Lasern ist, und ich auf dem linken Auge mit keiner OP mehr hundert Prozent Sehschärfe erreichen kann. Von allen anderen Methoden rät mir der Arzt ab; ich könne ja Brille tragen. Als ich von meinem Beruf spreche, kommt ein salopper Spruch. Ich habe zum ersten Mal wirklich Angst um meine Augen.

MÄRZ 2013: Seit sechs Jahren lebe ich mit meinen Kindern allein. Ich streite mich mit ihnen. Wir schreien. Meine Knie geben nach, wie so oft in den letzten zwei Jahren, ich falle um, bleibe einen Moment im Flur liegen. Ich löse mich auf. Nur ein Gedanke: «Mama, hol mich zu Dir. Bitte.» Wenige Minuten später stehe ich auf. Ich kann alles schaffen. Ich liebe das Leben so sehr.

MÄRZ 2013: Ich sitze im Rollstuhl im Churer Kantonsspital, das Leben kommt mir sehr unwirklich vor. Neben mir sitzt Patrick, wir essen zusammen Kuchen und schauen auf die Lichter der unbekannten Stadt. Ich muss mir eingestehen, dass ich mich verliebt habe.

MÄRZ 2013: Anton kommt zur Welt, plötzlich ist er bei uns. Mein Kopf quillt über vor Gedanken. Ich bin erschöpft und versuche, das Glück festzuhalten.

MÄRZ 2013: Mir wird bewusst, dass ich inzwischen ein zweites Zuhause in Istanbul habe und ich bin überglücklich. Sowie das Flugzeug abhebt, lasse ich für ein paar Tage alles andere hinter mir.

MÄRZ 2013: Ich sitze im Nachtzug und fahre nach Wien. Innerhalb eines Tages hat sich mein Leben komplett verändert: Von der planlosen, unterbezahlten Praktikantin bin ich zur Studentin in spe geworden.

MÄRZ 2013: Ich telefoniere mit meiner besten Freundin. In dem Moment erfährt sie, dass ihre letzte Grossmutter gestorben ist. Innerhalb eines Jahres hat sie bis auf einen Opa alle Grosseltern verloren. Ich beschliesse, die Zeit mit meinen Grosseltern intensiver zu nutzen.

MÄRZ 2013: Marcel sagt mir, dass er nur noch da ist, weil er glaubt, dass ich es ohne ihn nicht schaffe. Ich gehe.

MÄRZ 2013: Burnout, schwere Depressionen, Zusammenbruch. Ich gehe in die Psychiatrie und lerne wieder frei zu atmen, entdecke mich und lerne mich kennen. Mein neues Leben beginnt.

APRIL 2013: Ich habe ein Gastspiel an der Volksbühne in Berlin. Der blaue Koffer ist auch dabei.

APRIL 2013: Ich werde 65 und damit Rentner. Aber ich will noch viel bewegen und nicht nur rumsitzen oder Däumchen drehen oder nur für mich das Leben geniessen.

APRIL 2013: Infolge Reorganisation im Unternehmen trete ich meinen schon lange geplanten Vor-Ruhestand acht Monate früher an, um mehr Lebensqualität zu geniessen.

APRIL 2013: Chris, Chris, Chris! Und ich höre immer wieder meine Mutter sagen: «Du weisst es dann einfach.»

APRIL 2013: Ich bin in London und treffe einen alten Freund. Wir sitzen in der Küche und sprechen wie früher miteinander.

APRIL 2013: Ich stehe an Deck, als wir in den Fjord eindringen. Wir sind umgeben von schneebedeckten Berghängen, die Sonne strahlt und das Wasser vor uns ist ein Spiegel. Ich komme an. Ich muss mich an der Reling festhalten, denn meine Knie geben nach.

MAI 2013: Ich stehe mit Lilja und Barbara in einer endlos langen Schlange vor dem Eiffelturm. Es fängt an zu regnen. Wir sind glücklich und freuen uns.

MAI 2013: Ein erster Tagebucheintrag über einen gewissen L. Er gefällt mir. Ich glaube, ich habe mich verliebt...

MAI 2013: Unser Sohn liegt entspannt auf Catherine’s Brust. Er öffnet zum ersten Mal seine Augen – und mein Herz.

MAI 2013: Ich sitze neben meinem Vater am Tisch. Er schaut mich lange an. Endlich fragt er ungehalten: «Wer sind denn Sie?»

MAI 2013: Der Krebs besiegt meinen Schwager. Er stirbt, und wir alle trauern und können uns ein Familientreffen ohne ihn überhaupt nicht vorstellen.

MAI 2013: Tränen über Tränen: Auf dem Heimflug nach Zürich scheint die Quelle nicht zu versiegen. Dass unsere Liebe nicht genug Kraft entwickeln konnte, um zu überleben, schmerzt schrecklich.

MAI 2013: Ich will ihn überholen. Als ich grade beginne, schneller zu fahren, sehe ich, dass der Lkw noch einen Anhänger hinter sich hat. ich bin schon zur Hälfte an ihm vorbei, als ich das entgegenkommende Auto bemerke. Ich trete in die Pedale, wie ich es noch nie zuvor getan habe. Auf einmal geht alles ganz schnell. Etwa einen halben Meter vor dem entgegenkommenden Auto schaffe ich es, vor dem Lkw einzulenken. Das hätte mein Ende sein können. Auf so simple und unschöne Weise.

JUNI 2013: Ich fahre aus beruflichen Gründen in die Stadt, die ich 23 Jahre lang gemieden habe. Es ist sonnig, ich laufe altbekannte Wege und halte einen Vortrag. Ich überschreibe meine negativen Erinnerungen. Als ich zurückkomme, steht – völlig unerwartet – der Mann am Bahnhof, der mich tief berührt und mutig macht.

JUNI 2013: Ich nehme die Finger vom Klavier und lächle. Ich weiss, dass ich gut gespielt habe. Ich weiss, dass ich noch nie so gut gespielt habe wie jetzt, an meiner Maturprüfung.

JUNI 2013: Mit einer Performance habe ich einen Zwischenstopp in Istanbul zur Zeit der Proteste am Taksim Platz. Ich besuche den Ort des Widerstands. Ich bin überglücklich und überwältigt, als ich den Gezi-Park betrete. Ich fühle mich wie an einem neuen utopischen Ort.

JULI 2013: Meine Tochter Matilda wird geboren. Meine Frau ist im Spital. Ich bin im Flugzeug.

JULI 2013: Zwei Jahre Beziehung beendet. Wir sind durch dick und dünn gegangen. Ich habe seine Krankheit begleitet, alles hat sich geändert. Er trennt sich von mir.

JULI 2013: Ich erfülle mir einen Kindheitswunsch und lerne Reiten.

JULI 2013: Zurück in Frankfurt falle ich in alte Gewohnheiten zurück: Selber Nebenjob, selbe Uni, selbe Leute. Ich beschliesse, etwas zu ändern. Ich weiss nur noch nicht, was.

JULI 2013: Ich treffe die Liebe meines Lebens.

AUGUST 2013: Die Anzahl meiner Lieblingsmänner verdoppelt sich von eins auf zwei.

AUGUST 2013: Er drückt mich gegen die Wand des leeren Darkrooms. Es ist Montag morgen. Sein Ständer will mich. Bin seit Donnerstag unterwegs und verstehe ihn nicht.

AUGUST 2013: Wir sitzen an der Spree. Es ist Donnerstag Morgen und die Sonne geht auf. Das LSD wirkt immernoch. Das helle Blau am Himmel und das Rosa am Horizont vermischen sich zu einem übertrieben kitschig-romantischem Gesamtbild. M's 18. Geburtstag könnte nicht schöner beginnen.

AUGUST 2013: Ich bin am Strand auf Ko Samui und trainiere in einem Muay Thai Camp und geniesse die Abendsonne.

AUGUST 2013: Nach einer problemlosen, aber um zweieinhalb Wochen verlängerten Schwangerschaft und einer schwierigen Geburt, darf ich endlich unseren Sohn in den Armen halten.

AUGUST 2013: Ich fahre mit Simon für eine Woche nach Paris. Es ist die schönste Woche meines bisherigen Lebens.

AUGUST 2013: Beim Lindyhoptanzen schliesse ich die Augen und erlebe zum ersten Mal, wie wundervoll es ist, sich führen zu lassen, sich fallen zu lassen und verliebe mich in das Gefühl.

SEPTEMBER 2013: Ich beginne mein Studium in Zürich. Meine neue WG-Mitbewohnerin und ich geniessen die neue Unabhängigkeit in vollen Zügen: Freunde und Freundinnen kommen vorbei, wir essen gemeinsam, reden und trinken viel, jeden Abend, zwei Wochen lang.

SEPTEMBER 2013: Alles verändert sich. Und ich liege neben einem beinahe unbekannten Menschen auf einer Wiese und muss nicht mal die Augen schliessen, um festzustellen, dass wir uns blind verstehen.

SEPTEMBER 2013: Zu Beginn der 12. Klasse erkenne ich für mich, dass das Abitur nur ein Stück Papier ist. Es entscheidet nicht über das Glück in meinem Leben.

SEPTEMBER 2013: Ich werde an einem völlig unbedeutenden Triathlon-Wettkampf Vierter. Ich bin von Stolz erfüllt, etwas erreicht zu haben.

SEPTEMBER 2013: Israel. In einem kleinen Kibbuz nördlich von Tel-Aviv. Er sagt, er könne uns gut verstehen. Er hätte eine gute Schule gehabt. Lächelt kurz. Dreht sich um und zieht von dannen, als wär nichts geschehen. Wir werden sprachlos zurück gelassen.

OKTOBER 2013: Ich weiss, was ich ändern will: Mehr Zeit für meine Hobbys zu haben. Mein Praktikum raubt mir sämtliche Freizeit. Ich kündige. Das versteht dort keiner, aber mir tut es gut.

OKTOBER 2013: Kater Darius zieht bei mir ein und ich habe nun Verantwortung für ein Lebewesen.

OKTOBER 2013: Ich zahle meinen Kredit ab, endlich, aus eigener Kraft – jetzt fange ich an, wirklich zu sparen.

OKTOBER 2013: Seit zwei Monaten leben mein Sohn und ich allein. Meine Tochter wird volljährig sein, wenn sie in einem Jahr aus Kanada zurück kommt. Der Schmerz nach der Trennung von meinem Mann lässt langsam nach.

OKTOBER 2013: Mein Bruder kommt nach Hause. Wir fragen ihn, was los ist. Er sag nichts und stochert weiter im Essen. Kurz nachdem er den Raum verlässt, höre ich dieses Geräusch: Er übergibt sich auf unsere Treppe. Ich bin die einzige, die nicht durchdreht und rumschreit, dass er bestimmt wieder gesoffen und gekifft hat. Ich hasse es, Erwachsene zu spielen. Den Anblick meines vollgekotzten und völlig gleichgültigen Bruders werde ich nie vergessen. Trotzdem helfe ich ihm, während Mama weinend das Erbrochene aufwischt und Papa rumschreit und hin und her tigert.

OKTOBER 2013: Mein Gesicht ist weiss. Ein schwarzer Strich senkrecht durchs Auge. Heute bin ich zum ersten Mal stumm für einen ganzen Tag. Ich habe nie zuvor so aufmerksam und erfüllend kommuniziert.

OKTOBER 2013: Ich treffe IHN das erste Mal. Es ist das erste Mal, dass mich jemand so verzaubert. Das erste Mal, dass mir Berührungen nicht etwas unangenehm sind. Das erste Mal, dass ich jemanden treffe, mit dem ich sofort über alles reden und lachen kann.

NOVEMBER 2013: Ich bin Teil von etwas, sogar von etwas Grossartigem: Teil einer Theatergruppe, Teil einer Inszenierung. Ich spiele und fühle mich richtig.

DEZEMBER 2013: Nach dem Mutterschaftsurlaub kehre ich zu 60% zur Arbeit zurück. Zwei Tage die Woche bin ich Mutter und Hausfrau, ich mag mein neues Leben. Ich habe auch viel Zeit für Freundinnen.

DEZEMBER 2013: An Weihnachten trennen sich meine Eltern. Mein Bruder und ich liegen den ganzen Tag im Bett und sind wütend auf die ganze Welt.

DEZEMBER 2013: Nach zwei Jahren Kampf um ein Bauprojekt können wir endlich einen neuen Vertrag unterschreiben für den Weiterbau. Einen Tag später erfahren wir, dass bei einer Freundin von uns, die zum Bauprojekt als Bewohnerin dazugehört, vor lauter Kummer mit dem Bau eine schlimme Psychose ausgebrochen ist und sie völlig verwirrt durch die Gegend irrt.

DEZEMBER 2013: Ich liege an Weihnachten in meinem Kinderzimmer und verzweifle, weil ich mich von L. trennen werde.