1987

FEBRUAR 1987: Schnee. Überall Schnee. Ich sitze auf einem Schlitten und mein Grossvater sitzt hinter mir.

FEBRUAR 1987: Zum ersten Mal verliebt: Ich bin überwältigt von meinen Gefühlen für Bruno.

FEBRUAR 1987: Ich lerne Sophie in einem Jazzclub kennen.

FEBRUAR 1987: Mit grosser Freude verwalte ich ein Gasthaus in Porto Seguro mit 24 Zimmern. Eine Schweizerin kommt als Gast, und anstatt weiterzureisen, bleibt sie.

FEBRUAR 1987: Der Schnee ist rot gefärbt, eine Fläche von der Form einer Niere. Der Helikopter bringt ihn weg. Später verwandelt sich die Achse des Fensters in ein Kreuz und ich bin sicher, dass das ein Zeichen ist, dass er gestorben ist.

MÄRZ 1987: Mein erster Computer ATARI mit Rechtschreibeprogramm steht auf dem Tisch.

MÄRZ 1987: Ich stehe in der Marlene-Dietrich-Halle der DEFA Studios für Spielfilme vor der Kamera, meine Haare riechen nach altmodischer Pomade und in der Kantine gibt's Kartoffeln, Kartoffeln, Kartoffeln.

APRIL 1987: Ich werde Kreisoberförster im Entlebuch.

APRIL 1987: Meine neue Mitschülerin hänselt mich die ganze Zeit. Niemand mag mich hier.

MAI 1987: Meine Mutter ist tot. Ihre Hände sind gefaltet und meine Glocke mit dem grünweissen Band hängt an ihrem Handgelenk. Ich will in die Schule und ein Kleid tragen. Dabei fühle ich mich ganz besonders, das Kleid ist schön moosgrün, die Welt still. Ich fühle mich schuldig.

MAI 1987: Ich bin im Kindergarten und sitze mit drei Jungs im Zelt. Wir spielen «Hosen runter».

MAI 1987: Ich finde Frieden in der bedingungslosen Liebe von Jesus Christus und vertraue ihm mein Leben an.

MAI 1987: Ich muss acht Monate nach Finnland in den Militärdienst. Nach den ersten sechs Wochen halte ich die Menschen nicht mehr aus. Nach zehn Wochen werde ich gerettet und komme als Maschinist auf ein kleines Schiff mit acht Mann Besatzung.

JUNI 1987: Die Geburt meiner Tochter. Freude und Erschöpfung.

JULI 1987: Sommer in der Toskana – wir sind ein Haufen Kinder im selben Alter, nur Peter ist schon ein paar Jahre älter und unser Vorbild. Er lässt auf einem Markt Pfefferschoten mitgehen. Die Mutprobe am Abend besteht er, einige der Kleineren aber nicht. Viele Tränen, Eltern in Panik und Ohrfeigen.

JULI 1987: Auf Korsika lerne ich in einem Fluss, der ins Meer mündet, schwimmen. Vorher habe ich zuhause im Schwimmkurs nur geheult und kein «Seepferdchen» bekommen. Jetzt liebe ich das Wasser.

AUGUST 1987: Mein Vater beendet sein Leben und verändert meines für immer.

AUGUST 1987: Ich darf weg vom Land in die grosse Schule in der Stadt. Eine neue Welt tut sich auf.

AUGUST 1987: Ich ziehe zum Vater nach Biel, weil Mutter mir das Telefon aufgelegt hat. Wut entbrennt in mir. Ich will nicht zurück zum Mami. Meine Besuchstage bei ihr sind der Graus.

AUGUST 1987: Erste grosse Rolle: Knieriem in «Lumpazivagabundus» von Nestroy.

SEPTEMBER 1987: Zusammen mit meinem Freund klaue ich homöopathische Tabletten aus der verbotenen Schublade meiner Mutter. Diese essen wir dann gemeinsam im einem Loch, das die Bauarbeiter in die Strasse vor unserem Haus gerissen und vor dem Regen zugedeckt haben, sodass es wie ein Zelt wirkt.

SEPTEMBER 1987: Die erste Nacht mit einer Frau verbracht: Es war wundervoll und nachhaltig.

OKTOBER 1987: Nach einem halben Jahr Baustelle ziehen Jean und ich von Zürich ins neu renovierte, altehrwürdige Haus meiner Vorfahren in Brugg ein. Der Respekt vor den früheren Bewohnerinnen dieses schönen Hauses begleitet mich.

OKTOBER 1987: Ich fange an, Klavier zu spielen, weil ich nicht mehr nur zuhören will.

OKTOBER 1987: Ich lese eine traurige Geschichte und muss zu meiner Überraschung weinen. Texte können das.

OKTOBER 1987: Zwei Wochen als Künstler in Paris. Mein offenes junges Leben erfährt viele Begegnungen.

OKTOBER 1987: Mein Mann leidet seit drei Jahren an der tödlichen Amyotrophischen Lateralsklerose. Er ist geistig immer noch hellwach, aber körperlich total gelähmt. Mein Sohn, der in Frankfurt als Broker arbeitet, steigt in der Woche nach dem Börsencrash in New York übermüdet ins Auto. Er verunglückt schwer und ist seitdem behindert.

OKTOBER 1987: Meine Omi wandert nach Spanien aus. Fünf Tage später stirbt sie im Krankenwagen, weil er im Schlamm stecken geblieben ist. Sie war meine engste Vertraute.

NOVEMBER 1987: Ich sehe die Maskentruppe Mummenschanz in Zürich und weiss: Da werde ich mal mitspielen.

DEZEMBER 1987: Mein Bruder und seine Frau streiten sich an Weihnachten und gehen mit einem Tabourettli aufeinander los. Die beiden Kinder liegen schreiend unter dem Christbaum.