1974

FEBRUAR 1974: Mein Vater stirbt in einer Lawine. Ich erfahre nichts davon.

FEBRUAR 1974: In der Dramatischen Kantonschülergruppe Chur steige ich kurz vor der Premiere von der Souffleuse zur Hauptdarstellerin auf. Die Hauptdarstellerin hat einen Nervenzusammenbruch erlitten – und ich erlebe meinen Durchbruch als Schauspielerin.

MÄRZ 1974: Ich bekomme meine erste Rolle in einem Spielfilm und sehe eine konservierte Leiche in Formalin.

APRIL 1974: Ich spiele an der Premiere des GFS Trompete, Flügelhorn, Waldhorn und Ventilposaune und singe meine Eigenkomposition «Wenn nachts mich packt die grosse Leidenschaft» im ausverkauften Atlantis in Basel.

APRIL 1974: Ich bin verlegt worden: vom Pferdestallknast in der Kaserne Lausanne nach Drognens. Diese Kiste ist moderner aber nicht besser. Mit zehn Tagen scharfem Arrest will mich die militärische Obrigkeit gefügig machen. Befehlsverweigerung und Beleidigung eines Korporals (Arschloch) wirft man mir vor. Und ich sei ein Kantenläufer.

MAI 1974: Ich habe gerade meine Lehre als kaufmännische Angestellte beendet und fahre nach Lausanne. Ich habe eine Stelle gefunden und werde so nebenbei auch französisch lernen. Ich freue mich, endlich soviel Geld zu verdienen, dass ich mir ganz viele Bücher kaufen kann. Und überhaupt machen kann, was mir gefällt.

MAI 1974: Als Magdalena zum ersten Mal spät nach Hause kommt, schlafe ich herrlich und mache mir keine grossen Sorgen. Ich weiss: Ich kann meiner Tochter vertrauen.

JUNI 1974: Maturareise nach Italien. Endlich frei! Die Männerbekanntschaften am Strand sind aber eher ernüchternd. In der Nacht sind auch die Italiener grau.

JUNI 1974: Ich darf das freche Kasperle im Puppentheater spielen, ausgerechnet ich.

JUNI 1974: Drei Schulkollegen überreden mich mitzukommen. Sie liegt nackt da und ihre Titten sind enorm. Ich bin dünn und klein und als ich mich auf sie lege, fühle ich mich wie auf einem Wasserbett. Ich weiss nicht wie anfangen, aber sie hat Geduld. Nach ein paar Minuten verlasse ich die Strohhütte und denke: War das Sex?

JUNI 1974: Unser Wunschkind Sven wird geboren.

JULI 1974: Papa wird krank. Ich habe Angst. Alles bricht zusammen.

AUGUST 1974: Sam besteht darauf, dass ich seine Heimat Ghana besuche, bevor wir heiraten. Mein Schwiegervater spricht zwar nur ein paar Brocken Englisch; aber nachdem er mich kurz und intensiv gemustert hat, nimmt er seinen Sohn zur Seite und fragt ihn, worauf er noch warte!

AUGUST 1974: Meine Eltern lassen sich scheiden, ich fühle mich erleichtert und verlassen.

SEPTEMBER 1974: Nach Abschluss meines ersten Lehrerexamens gibt es für mich wegen der Lehrerschwemme keine Referendariatsstelle. Ich arbeite freiberuflich weiter, mache mich selbständig.

OKTOBER 1974: Unser geistig und körperlich behindertes Kind stirbt. Obwohl die Ärzte ihm kein langes Leben prognostiziert hatten, durfte er neun Jahre und sechs Monate bei uns leben. Dieses «unwerte» Leben hat mich vieles gelernt und stark gemacht.

DEZEMBER 1974: Mein Vater, der sich sehr um meine erblindete Mutter gekümmert hatte, stirbt an einem Herzinfarkt.

DEZEMBER 1974: Die Ärzte wollen lieber Party als Kreissaal, was fast zur Katastrophe führt – schliesslich erblicke ich das Licht der Welt mit einem Kaiserschnitt.

DEZEMBER 1974: Ich heirate Günter – aber ich bin nicht wirklich glücklich.