1965

FEBRUAR 1965: Die Scheidung meiner Mutter von ihrem zweiten Mann ist für uns beide eine Erlösung.

APRIL 1965: Wir ziehen um, über die grosse Strasse. Ich muss den Kindergarten wechseln und vermisse meine erste Kindergärtnerin, Fräulein Keller, sehr.

MAI 1965: Ich darf im Rahmen des Deutsch-Französischen Jugendaustausches als deutscher Jugenddelegierter zum Filmfestival nach Cannes fahren. Dort habe ich einige intensive Begegnungen mit berühmten Künstlern.

MAI 1965: Am 2. Mai kommt unser erster Sohn zur Welt. Wegen einer während der Schwangerschaft nicht bemerkten Toxoplasmose ist er schwer behindert. Nach sechs Monaten im Kinderspital und einer risikoreichen Operation des Wasserkopfes können wir ihn endlich nach Hause nehmen. Während neuneinhalb Jahren pflege ich ihn. Er muss zeitweise mit der Magensonde ernährt werden. Er kann auch nicht sprechen und die Sehkraft ist eingeschränkt. Er braucht Medikamente gegen Epilepsie und muss gewickelt werden. Wir lieben dieses Kind über alles und wenn ich ihm Kinderlieder vorsinge, kann er Freude zeigen und lachen.

AUGUST 1965: In der ersten Klasse will die neue Lehrerin alle Kinder, die noch nicht schwimmen können, ins Wasser schubsen. Mich auch.

SEPTEMBER 1965: Ich lerne in Hannover meine Frau Dorothea kennen, mit der ich heute noch verheiratet bin und glücklich in Dresden lebe.

SEPTEMBER 1965: Meine Freundin Ursi und ich fahren mit Bus, Tram und Zug nach Urdorf, wo wir eine ehemalige Schulkollegin besuchen wollen. Da wir sie nicht antreffen, beschliessen wir, zu Fuss in die Stadt zurück zu gehen. Beschwingt schreiten wir eingehakt die Strasse hinunter durch den Wald. Ich fühle mich so frei und unbeschwert wie noch nie zuvor und ziemlich erwachsen.

OKTOBER 1965: Mein Lehrer wirft mir ein paar Schuhe an den Kopf und schickt mich aus der Klasse. Ich sitze weinend stundenlang im Rechberggarten. Es regnet.